KEINE ANGST VOR DER ENTEIGNUNG

Im Frühjahr dieses Jahres tönte es durch ganz Vorarlberg. Um die bestehende Lücke im Radweg zwischen Dornbirn und Lustenau zu schließen, wurde ein Liechtensteiner Grundstückseigentümer enteignet. Und mit einer potentiellen Trassenerweiterung in Bregenz, könnten Enteignungen hier im Land wieder für Diskussionsstoff sorgen. Gründe genug, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Text: Ursula Fehle

Enteignungen stehen in Vorarlberg und Österreich nicht an der Tagesordnung. Die Zahlen der Enteignungen seien aber in den vergangenen Jahren gestiegen, ist oftmals zu lesen. So hoch, wie seit den 1930er-Jahren nicht mehr, heißt es. Dies konnte von der Statistik Austria auf Nachfrage jedoch nicht bestätigt werden. Eigentum ist generell gut geschützt. Das Recht auf Eigentum ist im ersten Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. In Österreich ist es außerdem verfassungsrechtlich gesichert, es ist als unverletzlich festgelegt und die Übernahme durch den Staat oder andere Enteignungswerber, wie zum Beispiel Telekommunikationsunternehmen oder Energieversorger, kann nicht ohne weiteres passieren. Im Gegenteil: Bis es zu einer Enteignung kommt, ist es meist ein langer Weg, es müssen triftige Gründe vorliegen, hohe Anforderungen erfüllt sein – kurzum, es muss eine große Notwendigkeit gegeben sein. Die Enteignung darf nur die Ultima Ratio, das letztmögliche Mittel, darstellen – und nicht die erste Option sein. Und: Jeder Eigentümer hat die Möglichkeit, sich gegen eine drohende Enteignung zur Wehr zu setzen.


Keine einfache Wegnahme 

Ja, Enteignungen sind in Österreich und natürlich auch in Vorarlberg möglich – aber sie sind nicht einfach möglich. Weder Gemeinden, noch Stadt, Land oder Bund, können einfach dem ursprünglichen Eigentümer das Eigentumsrecht an einem Grundstück (bebaut oder unbebaut) weg-, und selbst übernehmen. 

Meist geschehen Enteignungen im Zusammenhang mit größeren Bauprojekten, besonders im Straßenbau oder auch bei Erweiterungen von Eisenbahntrassen. Der Eigentümer kann, um einer drohenden Enteignung zu entgehen, das betreffende Grundstück verkaufen. Keine ideale und wahrscheinlich oft nicht die gewünschte, dafür aber meist die etwas lukrativere Lösung. In vielen Fällen ist deshalb gar keine Enteignung notwendig, da Eigentümer sich frühzeitig zu einem Verkauf entscheiden. Es besteht ebenso die Möglichkeit, sofern der Enteignungswerber über passende Grundstücke oder Grundstücksanteile verfügt, Grundstücke gleichsam zu tauschen. 

Sind weder Verkauf, noch Tausch, für den Eigentümer akzeptable Lösungen,kann es im nächsten Schritt zu einer Enteignung kommen. Allerdings nur, wenn diese im überwiegenden öffentlichen Interesse, nicht unverhältnismäßig und zudem alternativlos ist. Für die Durchsetzung einer Enteignung ist eine sachliche Begründung notwendig, ansonsten gilt sie als unzulässig. 

 Enteignung

Als Enteignung wird der vollständige oder teilweise Entzug des Eigentums an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache durch den Enteignungswerber (häufig der Staat) bezeichnet.

Das Beispiel Fahrradweg

Am Beispiel Fahrradweg Lustenau-Dornbirn kann dies erläutert werden. Der Eigentümer hätte für die Lückenschließung des Radweges rund 500 Quadratmeter seines insgesamt 7.200 Quadratmeter großen Grundstücks abgeben/verkaufen müssen – nicht das gesamte Grundstück. Das Land Vorarlberg hatte bereits für diesen Radweg rund 150 Grundstücke angekauft. Der Eigentümer stimmte einem Verkauf seines Grundstückstreifens nicht zu. Daraufhin folgte die Enteignung per Bescheid. Sind die Punkte öffentliches Interesse, nicht unverhältnismäßig und alternativlos in diesem Fall erfüllt? Ja. Das öffentliche Interesse ist durch das Projekt an sich, der Schließung und damit auch Erweiterung des Radweges, aber auch der damit einhergehenden Verbesserung des Radwegnetzes gegeben. Die Verhältnismäßigkeit zeigt sich darin, dass nicht das gesamte Grundstück übernommen wird, sondern nur der notwendig benötigte Teil, um die Erweiterung umzusetzen. Alternativlos deshalb, weil es keine andere Möglichkeit gibt, den Radweg anders zu führen. Die Radwegs-Causa ist deshalb zusätzlich interessant, da der Eigentümer mit der angebotenen Entschädigung – € 16,00 pro Quadratmeter – nicht einverstanden war. Er forderte ein Ersatzgrundstück. Diesem Wunsch wurde nicht entsprochen. Da Landesrat Marco Tittler gemeinsam mit der Stadt Dornbirn beschlossen hatte, es gebe für Grundstücks-Randstreifen keine Tausch-Grundstücke. 


Keine Enteignung ohne Entschädigung

Ein wesentlicher Punkt einer Enteignung ist die Entschädigung. Eine Enteignung kann nie ohne eine Entschädigung in angemessener Höhe stattfinden. Ansonsten würde es sich um eine verfassungswidrige Konfiskation handeln, dies käme einer Beschlagnahmung ohne gesetzlicher Grundlage gleich. Der Eigentümer, der durch die Enteignung seine Eigentumsrechte an einem Grundstück im Ganzen oder teilweise – je nachdem, ob das gesamte Grundstücke oder nur Teile enteignet werden – abgibt, geht nicht leer aus. Die Entschädigungshöhe kann von den beiden Parteien – Eigentümer und Enteignungswerber – gemeinsam festgelegt werden. Findet sich so kein Übereinkommen, dann wird die Höhe von einem Sachverständigen ermittelt. Kurzer Exkurs: Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und dazugehörigen Sanktionen wurde diskutiert, ob russische Oligarchen mit Immobilieneigentum in Österreich/Vorarlberg enteignet werden könnten oder sollten. Der Aspekt der mandatorischen Entschädigung spricht hier zum Einen dagegen. Sanktionen sollen weh tun und nicht noch als Nebeneffekt die Kassen der Oligarchen füllen. Zum anderen müssten auch hier die Voraussetzungen für eine Enteignung – notwendiges Projekt, öffentliches Interesse, Verhältnismäßigkeit und Alternativlosigkeit – erfüllt sein. Das ließe sich schwer argumentieren. 

Eine Enteignung ist nur dann möglich, wenn das öffentliche  Interesse überwiegt, sie nicht unverhältnismäßig und zudem alternativlos ist.

Sich wehren

Wer selbst von einer Enteignung  betroffen und damit nicht einverstanden ist, kann handeln und sich wehren – jedoch sollte dies nicht ohne juristische Unterstützung passieren. Auf rechtlicher Ebene hat der Eigentümer im Enteignungsverfahren mittels Widerspruch die Gelegenheit, die Enteignung abzuwenden, sofern triftige Gründe vorliegen, die gegen diese sprechen oder nachgewiesen werden kann, dass die Enteignung nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Es kann geprüft werden, ob das geplante Projekt den Bauvorschriften entspricht – und, ob auch die Finanzierung seitens des Enteignungswerbers gesichert ist. Ist dies nicht der Fall, fehlen die Grundlagen für eine Enteignung. Weiters kann geprüft werden, ob die Enteignung überhaupt notwendig ist. Ob der Enteignungszweck ein zulässiger ist. 

Was nicht möglich ist, ist eine Enteignung, um Grundstücksvorräte für zukünftige Projekte anzulegen. Es bedarf eines konkreten Vorhabens. Außerdem können potenzielle Alternativen, die Verhältnismäßigkeit und auch das tatsächliche Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Umsetzung des Projektes evaluiert werden. Nach Erhalt des Enteignungsbescheides hat der Eigentümer drei Monate Zeit, Widerspruch zu erheben. Auch wenn die Enteignung durchgeführt wird, ist es ratsam, das Projekt weiterhin zu verfolgen. Werden Bebauungsfristen nicht eingehalten oder letztlich gar keine Baubewilligung erteilt, so kann die Enteignung widerrufen werden. Das Grundeigentum geht dann an den ursprünglichen Eigentümer zurück. 


Nicht nur Grund und Boden

Enteignungen  sind eine seltene Sache. Wenn sie aber passieren, schlagen sie hohe Wellen. Weil Eigentum beladen ist – beladen mit Emotionen, Geschichten und Plänen. Weil Eigentum, eben nicht nur Eigentum ist, sondern Eigentum auch Freiheit, Selbstbestimmung und Sicherheit bedeutet. Es ist positiv besetzt und Eigentümer verspüren durchaus eine starke Bindung dazu.Auch wenn Enteignungen keine bloße Wegnahme von Eigentum sind, sondern es auch gute Gründe dafür gibt und Entschädigungen dafür erhalten werden, fühlen sich Eigentümer oft überrollt. Weil Eigentum etwas sehr persönliches ist. 

Weitere Informationen:

Auf der Website der Europäischen Menschenrechtskonvention, erfahren Sie mehr über darüber:

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