INVESTOREN SIND IMMER ZUR STELLE

Günter Welte ist Gutachter, Architekt und Mediator. Die Kombination aus Verständnis für das Bauen, für die Immobilie und dem Wissen über den Finanzmarkt sind die Basis für seine Gutachtertätigkeit. Haus & Grund hat ihn zu den Themen Bau- und Wohnflächenvorrat und Immobilienbewertung befragt.

Interview: Ursula Fehle 

Günter Welte

Welche Bedeutung hat der Bau- und Wohnflächenvorrat (Haus und Grund berichtete in der Ausgabe 01/2022) für die Bewertung von Grundstücken und Gebäuden? 

Welte: Grundlegend gelten im frei finanzierten Bereich, auch in der Frage von Bau- und Wohnflächen, die gleichen Marktgesetze wie in jedem anderen Wirtschaftsgut. Angebot und Nachfrage bestimmen Miet- und Kaufpreis. Diese Marktpreise, bezogen auf den Wohnraumbedarf, stellen sich nicht unmittelbar über das Vorhandensein von zu viel oder zu wenig Flächen ein. Der Sachwert Immobilie fungiert seit jeher perfekt als Inflationsschutz und Banken finanzieren gerne mit rund 80% Fremdkapital. Diese Zusammenwirkungen ergeben einen äußerst gefragten Veranlagungswert im Spektrum aller Assetklassen. Es finden sich immer Investoren, das macht vorhandenen Wohnraumüberschuss nicht unmittelbar bewusst und sichtbar. 


Wieso liegt die Preiserhöhung für Immobilien deutlich über der allgemeinen Inflation in Vorarlberg?

Welte: Das gilt global, nicht nur regional. Wie oft hören wir: das Geld wird weniger wert. Es verliert seine Kaufkraft. Und das stimmt. Die meisten Menschen spüren, dass das gleiche Geld in Immobilien veranlagt, dem entgegenwirkt. Und das stimmt auch. Fiatgeld (Bargeld) jeglicher Notenbank, entwertet sich alleine dadurch schon, weil einfach immer mehr gedruckt wird. Wirtschaftsgüter wie Sachwerte sind deshalb wertsteigernd. Weil es wenig, und eben immer weniger erschwingliche, davon zu erwerben gibt. Dazu zählen Rohstoffe, Edelmetalle, Aktien und auch Immobilien.


Entwickelt sich in Vorarlberg gerade eine Immobilienblase ? 

Welte: Vorarlberg ist ein sehr attraktiver Teil der beliebten Bodenseeregion. Laut Prognosen wird diese bis 2030 zu den stärksten Industriegebieten Europas zählen. In vier Nationen mit zehn Ländern/Kantonen, einer hohen Siedlungsdichte von 300-700 E/km2, ist sie derzeit schon ein Lebensraum für 3,6 Mio., sowie eine Urlaubs- und Freizeitregion für 12 Millionen Besucher. Die Anziehungskraft zeigt sich im europäischen Vergleich. Einerseits bezogen auf den durchschnittlichen Neubau-Wohnungskaufpreis, der bei 5.141 €/m2 sehr hoch ist, sich aber in etwa in der Mitte zwischen den Preisen in Riga mit 1.800 €/m2 und Genf mit 15.260 €/m2 einordnet. Andererseits zeigen die Durchschnittspreise für Mietwohnungen in Vorarlberg mit 16,05 €/m2, wie sich die Preise zwischen 9,50 €/m2 in Brünn und 30,80 €/m2 unter dem Schnitt einfügen.

Zur Person

Dipl.-Ing. Architekt Günter Welte, MSc

Welte Werte
Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Immobiliengutachter

gutachter@welte.eu
www.welte.eu

Bis zu welchem Punkt sind Bau- und Wohnflächenvorräte notwendig bzw. positiv. Wann kippt es in die Negativität? Wird in Vorarlberg richtig mit den Vorräten umgegangen? 

Welte: Bau- und Wohnflächenvorrat ist jedenfalls notwendig bzw. positiv, wenn er, bezogen auf eine demographische Bedarfserhebung, den Erfordernissen entspricht. Als zwei sehr heikle Bereiche sind sowohl die existierende Wohnungsleerstandsquote, als auch die Baulandhortung mitzubedenken. Beides sind für den Wohnungssuchenden gegebene Negative, weil sie den Marktwert erhöhen, Auswirkungen auf Miet- und Kaufpreise haben. In Vorarlberg ist von ca. 8.000 leerstehenden Wohnungen die Rede. Hierzu ist bundesweit eine Leerstandsabgabe, eine Art Strafzins, im Gespräch. Die  Zugänglichkeit zu diesen Wohnungen soll damit bewirkt werden. Der Anteil der gewidmeten, aber nicht bebauten Bauflächen in Vorarlberg, ist mit rund 33 % bekannt. Kommen hier laufende noch weitere Baulandwidmungen hinzu, und wird das Gesamtausmaß keiner politisch sinnvollen Regelung unterworfen, bliebe dies der wesentlichste preistreibende Faktor für steigende Wohnungspreise.


Verkaufsstopp von Neubauwohnungen bei i+R. Was bedeutet das für die Bewertung von Grundstücken und Gebäuden?

Welte: Es gäbe je nach Fortschritt des Neubauprojektes mitunter keine Planbarkeit mehr hinsichtlich des Fertigstellungs-Zeitpunktes, der Verfügbarkeit der Materialien oder der Kosten für die Kalkulation. Da Neubauwohnungen zumeist an Privatpersonen verkauft werden, stellt das strenge Konsumentenschutzgesetz die Bauträger vor eine besondere Herausforderung. Sollte diese Situation tatsächlich von Bewandtnis sein und bleiben, würde dies für Neubauwohnungen in der gesamten Branche und auch von jeglichem Bauträger bestätigend zu hören und zu lesen sein. Dem ist meiner Kenntnis nach nicht so. Bei tatsächlicher Durchsetzung einer solchen neuen Grundlage, würde meines Erachtens in der Bewertung eine Art von Angabe einer Wertbandbreite Einzug halten müssen.


Wird der Ukraine-Krieg Einfluss auf die Bewertung haben?

Welte: Stockende oder temporär abreißende Lieferketten von Materialien in der Bauindustrie haben bei solchen Ereignissen naturgemäß auch einen zeitlich begrenzten und sich wieder normalisierenden Charakter. Auf Grundstücke könnte es einen Einfluss erhalten, wenn Käufer mit der Projektrealisierung und dem Zukauf von Boden zuwarten, und später einen gestiegenen Wert einpreisen müssten. Der Hauptanteil vom Preisanstieg würde zunächst sicherlich über das Gebäude einer Liegenschaft oder eines Liegenschaftsanteiles an den Käufer weitergegeben. werden. Der mittlerweile über vier Monate andauernde Krieg ist für ganz Europa unfassbar, und sollte aller Wahrscheinlichkeit nach, aus der an sich positiven Entwicklung der Europäischen Bewegung als Friedensprojekt, eine solitäre Einzelerscheinung bleiben.


Zukunftsperspektiven der Bewertung von Grundstücken und Gebäuden in Vorarlberg?

Welte: Die Befundung, als erster Teil einer Gutachtenerstellung, muss umfassend und sachlich transparent sein Die Bewertung, als Teil zwei, muss unabhängig und schlüssig sein Die Zukunft der Bewertung ist daher allerorts gleich beschaffen. Die Bewertung ist eine Preisermittlung aufgrund sämtlicher wertrelevanten Einflüsse zu einem Bezugszeitpunkt für eine spezifische Immobilie vor Ort. Unser Berufsstand hat die Wertigkeiten lediglich zu spiegeln. Diese Haltung von Wertfeststellung im Kontext aller Zusammenwirkungen, versetzt in zunehmendem Ausmaße sogar eine Fachperson ins Staunen. Besondere Vorlieben und andere ideelle Wertzumessungen einzelner Personen, haben bei der Ermittlung des Verkehrswertes jedenfalls außer Betracht zu bleiben.


Was sind die wichtigsten Bewertungsfaktoren?

Welte: Eine Wohnung ist eine Ertragswertimmobilie. Sie wird von Parametern wie der jährlichen Nettokaltmieteneinnahme, der Mietausfallwagnis, den Instandhaltungskosten, dem Liegenschaftszinssatz, der Restnutzungsdauer, sowie bei Veranlagungen unter fünfzig Jahren, auch vom Bodenwert, bestimmt. Was in der Zusammenwirkung den sogenannten Barwert der Wohnungsveranlagung bezogen auf den Stichtag ergibt. Es zeichnet sich der Trend ab, bei dem offensichtlich über die Deckung inkl. darin erwartetem Gewinn, hinaus, gebaut, gekauft und veranlagt wird. Das bedeutet: Die Preise ergeben sich aus der Benchmark einer sich stetig erhöhenden Bereitschaft, mehr als zuletzt für das Vergleichbare, zu bezahlen. Die Wirtschaftlichkeit verlässt dieses Geschäftsmodell. Es gleicht mehr der Greater-Fool-Theorie.

Kommentar zum Interview: Markus Berchtold

KEIN ZUSÄTZLICHES ANGEBOT NÖTIG


In Vorarlberg wurde seitens der Landespolitik immer wieder behauptet, dass mit der Schaffung von zusätzlichem Angebot an Wohnungen und Bauflächen die Preise sinken würden. Günter Welte zeigt auf, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil, die zunehmende Vorratsbildung hat keine preisdämpfende Wirkung, sie führt sogar zu einer Preiserhöhung für Immobilien aufgrund der Greater-Fool-Theorie. 


Es herrscht in Vorarlberg eine Goldgräberstimmung mit dem Spekulationsobjekt Immobilie. Die Greater-Fool-Theorie besagt, dass Investoren positive Renditen erzielen können, indem sie einen Vermögenswert kaufen, ohne sich um die Bewertungsgrundlagen und andere wichtige Faktoren zu kümmern, weil jemand anderes („ein Idiot“) ihn zu einem höheren Preis kaufen wird. Damit wird eine Bewertungsblase geschaffen, welche platzen und damit zu großen Verwerfungen am Markt führen kann.


Wir sollten mit weiteren Preissteigerungen für Immobilien rechnen, allein schon der internationalen Anerkennung des Standortes Vorarlbergs wegen. Doch fundamental sind Bauflächen und Wohnungen für die Menschen notwendig, der (lokale und internationale) Finanzmarkt sollte untergeordnet sein.


Wie bereits in früheren Ausgaben der Haus und Grund aufgezeigt, ist eine Verknüpfung des Vorrates an Immobilien an die Entwicklung der Bevölkerung notwendig. Nicht nur aus raumplanerischen Gründen, sondern auch wie durch Günter Welte bestätigt zur Sicherung der Wertstabilität und des Immobilienmarktes. Das Bevölkerungswachstum in Vorarlberg ist seit vielen Jahren wesentlich geringer als das Wachstum an Gebäuden und Wohnungen. Daher sind sofort Einschränkungen notwendig, die entsprechenden Rahmenbedingungen müssen von der Vorarlberger Landesregierung gesetzt werden. Die Bauflächenbedarfsberechnung (Haus und Grund Ausgabe 01/2022) ist eine gute Grundlage.


Die anhaltenden Unsicherheiten und Preissteigerungen im Bauwesen können weitere Vorboten der Immobilienblase in Vorarlberg sein. Günter Welte ist in seinen Äußerungen sehr vorsichtig, er weiß um die möglichen Auswirkungen auf die Bewertung von Immobilien. Alle anderen Akteure sollten ebenfalls Vorsicht walten lassen. Gerade in unsicheren Zeiten ist die Betrachtung der Fundamentaldaten von besonderer Bedeutung. Unsere Wohnungen, Häuser, Dörfer und Städte dürfen nicht der Finanzspekulation dienen!

DI Mag. Markus Berchtold Ph.D.

VEV-Vorstandsmitglied, Inhaber von heimaten® – Ingenieurbüro für Raumplanung, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Raumplanung und Dorferneuerung.


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