
Am Anfang eine ganz grundsätzliche Frage, was macht ihr als raumlink?
Lingg-Grabher: Der Hintergrund ist der, dass wir – die Netzwerkmitglieder – ohnehin schon in verschiedenen Projekten zusammengearbeitet haben. Man hat sich über die Arbeit, die Uni oder die Fachschule gekannt. Wir kommen aus unterschiedlichen Disziplinen, sind teilweise selbständig, teilweise angestellt, teilweise in der Forschung und Lehre aktiv. Bei Projektarbeiten gab es immer wieder Berührungspunkte. Im Grunde hätten wir auch genauso weiterarbeiten können. Wir wollten das Thema der Raumentwicklung sichtbarer machen und zeigen, dass Raumentwicklung heutzutage anders angegangen werden muss. Es ist keine Einzeldisziplin, sondern ein interdisziplinäres Zusammenspiel. Wir finden die unterschiedlichen Perspektiven – Architektur, Soziologie, Raumplanung und Geografie – sollten möglichst früh zusammengebracht werden. So entstehen zukunftstaugliche und nachhaltige Lösungen. Und: Wir wollten die Vorarlberger Szene mit der Netzwerkgründung auch etwas aufmischen.
Außerdem haben sich Anfragen gehäuft und wir wussten ja, wir können interdisziplinär gut arbeiten, können sowohl Wissenschaft als auch Praxis zusammenbringen und als Netzwerk mit einem gemeinsamen Namen haben wir natürlich andere Möglichkeiten, zu agieren. Je nach Projekt suchen wir die passenden Leute und nehmen, sofern wir die Kompetenz noch nicht bei uns im Team vertreten haben, auch von außen weitere Experten dazu – wie zum Beispiel Verkehrs- oder Landschaftsplaner oder Klimaforscher. Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen den Räumen, den einzelnen Disziplinen.
Deshalb auch der Name?
Lingg-Grabher: Ja, genau.
Womit beschäftigt ihr euch in den Projekten?
Herburger: Konkret werden wir oft für Quartiersentwicklungen ins Boot geholt. Wie funktioniert ein Quartier, was braucht oder bedingt Nachbarschaft, welche Akteure, Strukturen oder Regeln müssen wir beachten, wie sieht die gebaute Umwelt aus und wie könnte man dies zusammenbringen, damit neue, positive Entwicklungen möglich sind? Ein wesentliches Thema, mit dem wir uns immer wieder auseinandersetzen, ist die Bevölkerungsentwicklung. Hier geht es um die Frage, wie Veränderungen gestemmt werden können. Wenn viel gebaut wird, wie wird der Zuzug bewältigt. Wie viele Kindergärten und Schulen werden benötigt? Wir beschäftigen uns stark mit Zusammenhängen zwischen gebauter Welt und Mensch.
Zu welchem Zeitpunkt werdet ihr in Projekte involviert und wer holt euch dazu?
Lingg-Grabher: Oft schon in der Phase Null. Da geht es noch nicht um konkrete Planung, sondern um Ermittlung von Potenzialen und Grundlagen. Da schauen wir uns an, wie könnte hier Gutes entstehen. Als Beispiel: Wir haben für die Südtirolersiedlung in Bludenz oder ein ehemaliges Industrieareal in Wolfurt Ideen für eine neue Zukunft entwickelt. Auf Basis eigener Erhebungen, von Daten und dem Austausch mit den Eigentümern, der Gemeinde oder anderen wichtigen Akteuren erarbeiten wir Ideen und schaffen so eine solide Grundlage für Entscheidungen. Wir schaffen keine romantischen Utopien, sondern gehen realistisch an die Dinge heran. Hinzugeholt werden wir oft von Regionen, Gemeinden und Städten. Aber auch Privatleute haben uns schon angefragt. Da geht es dann manchmal darum, wie ein großes oder mehrere Grundstücke genutzt werden können.
Herburger: Im kleinen Maßstab sind es dann auch oft ältere Menschen, die Eigentümer von Einfamilienhäusern sind und merken, dass sie langsam auf Hilfe angewiesen sind. Die sich dann mit der Frage beschäftigen, was kann ich mit der Immobilie/Liegenschaft im Alter machen und welche Potenziale darin liegen – Weitergabe an die eigene Familie, Fremdvermietung, Umbau.
Lingg-Grabher: Ein wichtiger Punkt ist, dass man sich früh genug mit dem Wohnen im Alter auseinandersetzt. Am besten schon beim Haus- bzw. Wohnungskauf. Das wird auch immer mehr Thema. Da steckt ebenfalls enorm viel Konfliktpotenzial drinnen, wenn die Beschäftigung damit nicht früh genug anfängt.
Ihr habt gesagt, ihr möchtet eine andere Art der Raumentwicklung bieten. Das heißt, bisher ist einiges schiefgelaufen, was war das?
Herburger: Im Nachhinein darauf hinzuweisen, was falsch war, ist schwierig, weil das andere Zeiten, eine andere Gesellschaft war, mit anderen Visionen und Herausforderungen. Wir wollen aber eine zukunftsorientierte Raumentwicklung machen, die auch bedarfsgerecht ist. Wir sehen oft, dass sympathische Ideen aus Großstädten nach Vorarlberg gebracht werden wollen. Das kann lokal passen, aber keine Universallösung sein.
Könnt ihr bedarfsgerecht konkretisieren?
Herburger: Was brauchen Menschen wirklich? Das ist die Frage. Und zwar realistisch und pragmatisch betrachtet. Älterwerden, Inklusion, Gendergerechtigkeit, Klimawandel und Co. – das sind Dinge, die berücksichtigt werden müssen. Die Komplexität der Gesellschaft muss sich in einem passenden Angebot widerspiegeln. Und dafür gibt es kein einfaches Rezept.
Lingg-Grabher: Ja, wir haben einen sehr unterschiedlichen Bestand, natürlich oft an Einfamilienhäusern orientiert. Wir haben aber auch Großsiedlungen wie zum Beispiel die Südtiroler-Siedlungen oder die Hannes-Grabher-Siedlung in Lustenau. Ein Weg ist schon mal vom Land vorgegeben: Die Siedlungsentwicklung soll nach innen passieren – aus Gründen des Bodenverbrauchs und aus Gründen des Klimawandels. Doch je nachdem, wo dies stattfinden soll, wird die Weiterentwicklung nach innen anders aussehen müssen – je nach Eigentümerstruktur, nach dem Bedarf nach Wohnform zum Beispiel. Es wird oft von gemeinschaftlichen Wohnformen gesprochen. Das mag für eine bestimmte Gruppe gut sein, aber ist nicht überall sinnvoll. Es gibt keine Lösung für alles, sondern jedes Projekt muss gesondert betrachtet werden. Deshalb benötigt es eben interdisziplinäre Raumentwicklung.
Die VEV fordert schon lange ein Kompetenzzentrum für Wohnen und Bauen für Vorarlberg. An einem Ort sollte Expertenwissen gebündelt werden und so die Basis für Entscheidungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen möglich sein. Ebenso wäre eine Evaluierung von gesetzten Maßnahmen eine wesentliche Aufgabe dieses Zentrums. Wie empfindet ihr diesen Vorschlag?
Lingg-Grabher: Wenn wir es begleiten dürfen, dann ist das eine sehr gute Idee. (lacht) Ich habe lange in der Schweiz gearbeitet. Dort gibt es bereits so etwas auf Bundesebene – das Bundesamt für Wohnen. Das ist grundsätzlich gut. Aber man müsste sich das konkret anschauen. Besonders auch darauf achten, wer die Aufträge erteilt und ob versucht wird, Einfluss auf die Ergebnisse zu nehmen. Wenn es nur ein Legitimierungsinstrument für eine bestehende Politik sein sollte, dann braucht es dies nicht. Aktuell ist das Thema Wohnen ideologisch aufgeladen. Dadurch wird auch das breite Spektrum der Wohnformen verkürzt dargestellt. Miete und Eigentum werden häufig gegeneinander ausgespielt oder als ein „Entweder-Oder“ dargestellt. Aber es geht darum, dass die Menschen in Vorarlberg bedarfsgerechten und sicheren Wohnraum haben, den sie sich leisten können. Ich kenne die Idee des Kompetenzzentrums nicht genau, aber ein Ort, an dem Projekte angestoßen werden, an dem Forschung betrieben wird, an dem Daten erhoben werden, an dem evaluiert wird, an dem auch Versuche erlaubt sind, könnte interessant sein.
Zum Abschluss: Was würdet ihr euch von den Menschen, auch den Eigentümern, wünschen?
Herburger: Dass man sich seiner Verantwortung bewusst wird. Wer Eigentum besitzt, ist schon privilegiert. Deshalb: Offen sein und sich auf Prozesse einlassen. Wenn eine Kommune einen Entwicklungsprozess in einem Gebiet startet, hingehen, sich das anhören, einbringen und die Scheuklappen runternehmen. Solche Prozesse können gerade für Eigentümer Benefits mit sich bringen.
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