FLÄCHENWIDMUNG

WER TRIFFT DIE RICHTIGEN ENTSCHEIDUNGEN FÜR DIE ZUKUNF?


​Es war im September. Bundesminister Johannes Rauch war im Gespräch mit dem Standard. Es ging um weitere Antiteuerungshilfen, gegen die er sich deutlich aussprach. Fast nebenbei erklärte Rauch, die Flächenwidmung in den Händen der Gemeinden wäre ein großer Fehler. Auslöser für eine Empörungswelle seitens der Gemeinden. Zeit für eine Bestandsaufnahme durch Haus&Grund. 

Text: Ursula Fehle 

Die Ursprungsfrage drehte sich um zusätzliche Hilfen und Energiekostenbremsen. Hier sprach sich Rauch bevorzugt für Regulierungen aus und bemerkte, es müsse Eingriffe in den Strom- und Gasmarkt auf EU-Ebene geben. Schritte auf den Ebenen darunter müssten aber ebenso eingeleitet werden. An diesem Punkt setzte er, so wie es medial dann aufgegriffen wurde, zum „Angriff“ an. „Am Immobilienmarkt treibt eine spekulative Blase die Preise, die nichts mit der aktuellen Krise zu tun hat. Ein Gegenmittel ist der Bau von Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen, aber das hat außerhalb Wiens nicht wirklich stattgefunden. Ich halte es für einen Irrtum der Geschichte, dass die Gemeinden über die Flächenwidmungen entscheiden - diese Kompetenz müssen wir allmählich überdenken. Die Bürgermeister sind zu nahe dran an den lokalen Interessenlagen, um sich gegen kommerzielle Ansprüche wehren zu können.” (Gerald John, 21.09.2022, Rauch gegen neue Antiteuerhungshilfen: „Wir beklagen uns auf hohem Niveau”, Der Standard.)


Gemeinden verärgert

Die Reaktion auf den Rauch-Sager seitens des Gemeindebundes ließ verständlicherweise nicht lange auf sich warten. Präsident Alfred Riedl und Vizepräsident Rupert Dworak erklärten in einer gemeinsamen Aussendung, dass diese Äußerung nur als glatte Attacke auf die Gemeindeautonomie gedeutet werden könne. Sie wäre zudem auch nicht korrekt. Denn jedes Bundesland verfüge über eigene Raumordnungsgesetze. Die Länder seien außerdem in jeden Flächenwidmungsprozess involviert. Andrea Kaufmann, Dornbirner Bürgermeisterin und Präsidentin des Vorarlberger Gemeindeverbandes, stellt ebenso klar, dass das Land selbst bei jeder Flächenwidmung mitbestimme. Die örtliche Raumplanung sei zwar eine Kernaufgabe der Gemeinden und falle verfassungsrechtlich in deren Wirkungsbereich. Die Entscheidungskompetenzen seien aber auf mehrere Ebenen aufgeteilt. Die Gemeinden träfen außerdem ihre Widmungsentscheidungen auf Basis von landesgesetzlichen Vorgaben wie zum Beispiel überörtliche Raumpläne. Kaufmann betont, dass Flächenwidmung einem klaren, rechtlich vorgegebenen Verfahren, unter breiter Einbindung von Experten und der Bevölkerung folge, die Landesregierung jede Widmung genehmigen müsse und die Widmung neben der Kontrolle durch die Landesregierung auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten müsse. Willkür hätte dabei keinen Platz. Gemeindebund und Gemeindeverband machen mit ihren Repliken deutlich, dass sie nicht bereit sind, die Gesamtverantwortung für mögliche Fehlentscheidungen in der Flächenwidmung alleine zu tragen. Sie nehmen dezidiert die Länder in die Pflicht, pochen aber zugleich auf die Wichtigkeit der Autonomie der Gemeinden in Widmungsfragen.

Das Land ist in jede Flächenwidmung involviert

Dipl.-Vw. Andrea Kaufmann,

Dornbirner Bürgermeisterin und Präsidentin des Vorarlberger Gemeindeverbandes

Zu nah dran

Rauch erklärt im Standard-Interview, die Bürgermeister wären zu nahe an den lokalen Interessenlagen dran, um sich gegen kommerzielle Ansprüche wehren zu können. Von Seiten der SPÖ (Andreas Kolross, Nationalratsabgeordneter) wurde betont, dass die Bürgernähe ein wichtiger Faktor bei der Flächenwidmung wäre. Die Übertragung der Entscheidungskompetenz an eine Landesregierung wurde in diesem Zusammenhang als undemokratisch bezeichnet. Die Frage, ob Entscheidungsträger in den Gemeinden zu nah dran sind, muss aber gestellt werden und darf nicht schnell abgetan werden. VEV-Präsident, Dr. Markus Hagen bringt einen bedeutenden Aspekt in die Diskussion ein. „Gemeinden müssen dafür sorgen, dass sie ausgeglichen wirtschaften und die Steuereinnahmen stimmen. Eine Umwidmung, die die Ansiedlung eines Unternehmens ermöglichen würde, ist eventuell raumplanerisch nicht ideal, aber finanziell bedeutend für die Gemeinde.” Er betont weiter. „Ich glaube, es braucht neue, zukunftstaugliche Ansätze in der Flächenwidmung und Raumplanung, die finanziellen Möglichkeiten dürfen den Gemeinden dabei nicht abhanden kommen.” Landtagsabgeordneter und ÖVP Raumplanungs- und Baurechtssprecher Clemens Ender betont die Wichtigkeit der Kommunalsteuereinnahmen für die Gemeinden, verweist aber deutlich darauf, wie Land und Bund genauso an Steuereinnahmen großes Interesse hätten und ihnen somit ebenso ein Zwang zu Betriebsansiedlungen- und -erweiterungen – sprich kommerzielle Ansprüche – angedichtet werden könnte. 


Kirchturmdenken unpassend

Vorarlberg hat 96 Gemeinden. Manche davon haben nur knapp über 100 Einwohner (Dünserberg, Warth), manche davon liegen flächenmäßig nur knapp über einem Quadratkilometer (Röns, Stallehr). Manche Gemeinden, vor allem im Rheintal, wachsen schon fast zu einer Einheit zusammen. Dennoch verfügt jede Gemeinde über ihre eigenen Vertreter, die über Widmungen entscheiden. Hagen dazu: „Natürlich kann es für einen Grundeigentümer angenehm sein, wenn die Entscheidung über eine Umwidmung im Dorf getroffen wird. Aber in der Gesamtschau betrachtet ist das zu hinterfragen, ob wir für die Herausforderungen der Zukunft gut aufgestellt sind, wenn wir die Entscheidung über Widmung oder Nicht-Widmung in diesem kleinen Vorarlberg in der Kompetenz der Gemeinden belassen.” Als Beispiel spricht Hagen davon, dass jede Gemeinde ihr eigenes Industriegebiet habe, es aber durchaus sinnvoll wäre, in solchen Bereichen gemeindeübergreifend zu denken und die Planung/Widmung nicht an der Ortsgrenze enden sollte. Das Kirchturmdenken scheint ihm gerade hier nicht mehr zeitgemäß. Ender räumt ein, dass es in diesen Angelegenheiten in der Vergangenheit durchaus Schwächen gab. Die Einführung der verschiedenen Raumplanungsinstrumente – regionales Raumplanungskonzept (regREK) oder regionale, sektorale Entwicklungspläne (regSEK) haben laut Ender das gemeindeübergreifende Denken bereits angeregt und verstärkt. Das Land Vorarlberg fördert ebenso die regionale Zusammenarbeit von Gemeinden. Als Beispiel die Region amKumma. Es gibt also hier bereits eine Entwicklung hin zum größeren Denken, wo es notwendig ist, und so wäre eventuell die Entscheidungskompetenz für oder wider Flächenwidmungen in Zukunft für größere Projekte auf regionaler Ebene denkbar.

Die Flächenwidmung in den Händen der Gemeinden bringt Vor- und Nachteile mit sich.

RA. Dr. Markus Hagen,

Präsident der Vorarlberger Eigentümervereidigung

Ruf nach Bundesrahmengesetz

Die NEOS fordern seit geraumer Zeit ein Bundesrahmengesetz für Raumordnung und ebenso einen bundesweiten Infrastruktur-Gesamtplan. Sie sehen dies als Notwendigkeit, um der fortschreitenden Bodenversiegelung in Österreich (und auch Vorarlberg) entgegenzuwirken. Täglich werden in Österreich Grünflächen im Ausmaß von 13 Fußballfeldern bebaut. Österreich liegt somit im europäischen Vergleich an der negativen Spitze. Die Vorarlberger NEOS betonen, dass die Kompetenzfrage im Vordergrund stehen muss. „Auf welcher Ebene sind die Kompetenzen für die besten Lösungen in Zukunftsfragen vorhanden und auf dieser Ebene müssen die Entscheidungen getroffen werden”, so der Standtpunkt der NEOS. Deshalb bräuchte es aus ihrer Sicht zunächst dringend das erwähnte Bundesrahmengesetz sowie den Infrastruktur-Gesamtplan. Flächenwidmung und Raumordnung würden sie auf Landesebene ansiedeln, um leistbares Wohnen voranzutreiben, aber auch um strategische Ausgleiche zwischen urbanen und ländlichen Räumen zu schaffen. Ebenso sehen sie Verkehrs- und Logistikraumpläne in der Kompetenz des Landes. Die Gemeinden seien für Quartierentwicklungen die besten Partner, um mit den Menschen im Dialog zu bleiben. Diese Kompetenz sollte auch weiterhin bei den Gemeinden bleiben. 


Status quo kritisch hinterfragen

Der Aufschrei seitens der Gemeinden ist als Reaktion auf die nicht unbedingt feinfühlig formulierte Aussage von Rauch verständlich. Dennoch darf mit dem reinen Beharren auf der Richtigkeit des Status Quos, die Diskussion nicht versiegen. So sieht das auch VEV-Präsident Hagen. „Die Flächenwidmung in den Händen der Gemeinden bringt Vor- und Nachteile mit sich. Man wird aber für die Zukunft kritisch darüber nachdenken müssen, wo die Entscheidungskompetenz am besten aufgehoben ist oder, ob es auch andere Regularien gibt, die etabliert werden könnten.”

Raumplanung und Flächenwidmung in Vorarlberg

Raumplanung in den Gemeinden – rechtliche Rahmenbedingungen:

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