„WER STEUERN WILL, MUSS EINGREIFEN“

Seit über zwei Jahren ist Marco Tittler Landesrat für Wirtschaft. Ein Interview mit Haus & Grund war deshalb längst überfällig. Im Gespräch verrät er Einiges über die angedachten Neuerungen in der Wohnbauförderung sowie das Thema Raumplanung.

Interview: Ursula Fehle 

Marco Tittler

Der Diskussionsbedarf rund um das Thema Wohnen in Vorarlberg ist groß. Kürzlich haben sie via Presseaussendung erklärt, die Wohnbauförderung sowie die aktive Wohnbaupolitik in Vorarlberg seien treffsicher und effizient. Worauf beruht diese Einschätzung?

Tittler: Anlass für die Aussendung war die Anfrage seitens der NEOS. Die Aussage hat sich insbesondere auf die Wohnbauförderung bezogen. Meine Einschätzung beruht auf den Zahlen der Wohnbauförderung 2018 bis 2021. Dort sehen wir, dass die Inanspruchnehmer – über 70 Prozent – unter 35 Jahre alt waren. Mir ist klar, die Wohnbauförderung ist sehr komplex. Wenn man sie aber detailliert betrachtet und analysiert, wird deutlich, dass Boni für Hausstandsgründungen oder bei geringem Einkommen schon die gewünschte Wirkung erzielen. In Summe wird die Zielgruppe der Jungen gut erreicht, wir sind also treffsicher unterwegs mit der Wohnbauförderung. Was stimmt: Die Wohnbauförderung für Eigentum hat abgenommen. Das ist ein anderes Thema. Was ich aber nicht möchte, ist den Deckel zu heben. Nicht jedes Eigentum muss gefördert werden. Es ist zumutbar, dass eine Eigentumswohnung am Pfänderhang selbst gekauft wird –ohne Förderung.


Sie sind zufrieden mit der Wohnbauförderung. Kündigen für 2023 aber eine große Systemumstellung an. Was heißt das konkret?

Tittler: Der Prozess läuft zur Zeit. Ich kann also schwer vorgreifen. Ich kann aber über meine Vorstellung sprechen. In erster Linie sehe ich die Wohnbauförderung als soziales Instrument für die Wohnraumbeschaffung. Sie hat auch ein steuerndes Element in sich. Zum Beispiel wenn man von Energieeffizienz spricht und in Richtung Materialität denkt. Mein Wunsch wäre eine Wohnbauförderung, die als Basis die jetzige hat, ein soziales Instrument ist und einige Punkte abdeckt, die von solcher Wichtigkeit für das Land sind, dass sie dort als Steuerinstrument funktioniert. Momentan haben wir rund 18 Bonusstufen, das möchte ich entschlacken. Ich könnte mir vorstellen, dass eventuell der erstmalige Eigentumserwerb erleichtert wird, in dem es eine Förderpauschale dafür gibt. Kurz gesagt: Die Wohnbauförderung muss inhaltlich verbessert und vereinfacht werden. 


Sie meinten, mit der Umstellung solle „die Funktion der Wohnbauförderung als Steuerungsinstrument  gewahrt bleiben“. Was wird aktuell konkret gesteuert – der Abwärtstrend?

Tittler: Da müssen wir unterscheiden. Zum einen werden gemeinnützige Wohnungen unterstützt, zum anderen das Eigentum. Ich finde beides gehört gefördert. Beides soll betrachtet werden. Ich halte es für eine gute Methode, in jungen Jahren zur Miete zu wohnen und so für Eigentum zu sparen. Was Sie meinen, ist das Verhältnis von Eigentum und gemeinnützigen Wohnungen in der Statistik. Es stimmt. Dort gehen  die Eigentumsförderungen zurück. Zwei Gründe dafür sind: die Obergrenzen in der Wohnbauförderung für Grundstückskosten und die Kaufwertobergrenzen. Man muss sehen, es fallen auch gewisse Wohnungen mit einem Quadratmeterpreis mit bis zu  7.000 Euro in die Wohnbauförderung. Das sind dann zum Beispiel Gartenwohnungen. Die Penthouse-Wohnung werden wir aber nicht fördern.  


Wer ist in diesen Symstemumstellungsprozess integriert? 

Tittler: Die Abteilung Wohnbauförderung ist verantwortlich und führt Gespräche mit Stakeholdern. Um nur einige zu nennen: Arbeiterkammer, politische Parteien, gemeinnützige Vereinigungen, Eigentümervereinigung, Kammer der Ziviltechniker. Das zeigt die Breite.


Was wird die Umstellung den Menschen bringen?

Tittler: Einen breiteren und vereinfachten Zugang zur Wohnbauförderung.


Spannungsbogen Wohnbauförderung und Raumplanung?

Tittler: Wohnbauförderung ist ein Element des Gesamten. Sie setzt dort an, wo es um die Finanzierung geht. In Sachen Raumplanung und Raumordnung könnte eine Verknüpfung der Wohnbauförderung mit raumplanerischen Elementen angedacht werden. Wir beschäftigen uns mit der Frage  der aktiven Bodenpolitik durch die öffentliche Hand. Im Landtag wird über Leerstandsabgaben ode Zweitwohnsitzabgaben diskutiert, wenn es um die Mobilisierung von Wohnraum geht. Was wir bei all diesen Themen sehen: Es geht immer um Eingriffe. Das ist die Problematik, wenn ich steuern will, dann muss ich eingreifen. Das ist gut abzuwägen, wo kann ich in welcher Form eingreifen.


Leerstandsaktivierung  bzw. Bauflächenvorrat ist bei der Raumplanung ein wichtiges Thema. In Vorarlberg besteht ein großer Vorrat an Immobilien für Wohnen, sei dies in der Mindernutzung von Gebäuden oder an unbebauten Bauflächen oder Bauflächen mit Verdichtungspotenzial. Was für Maßnahmen können sie sich hier vorstellen?

Tittler: Da gibt es unterschiedliche Ebenen, auf denen man ansetzen könnte. In der Wohnbauförderung könnten wir zum Beispiel Nachverdichtung besonders fördern. Das wäre uns auch ein Anliegen (Anmerkung der Redaktion: Der Verdichtungsbonus der Wohnbauförderung wurde 2022 nicht erhöht). Das könnte ältere Häuser betreffen oder auch An- und Zubauten. Da gibt es sicher noch Potenzial. Das zweite ist: wir wollen Verdichtungszonen, eine Verdichtung nach innen. Das haben wir so im Raumplanungsgesetz erstmals drinnen. Außerdem müssen die Gemeinden bis Ende des Jahres Räumliche Entwicklungspläne (REP) erstellen, Verdichtungszonen sind dabei ein Muss. Die dichtere Bebauung sollte in der Regel zu günstigerem Wohnen führen. Es muss klar sein: Eine Entwicklung nach innen, ist auch ein Signal an den Markt ist. So signalisiere ich den Eigentümern, dass die Preise für Grundstücke steigen werden. Das muss gut abgewogen werden. Welche Signale werden mit welchen Maßnahmen gesendet. Es passiert ohnehin viel – zum Beispiel in Wohngegenden etablieren sich kleinere Wohnanlagen, neue Wohnformen kommen in den Trend. Die Micro-Apartments sind immer mehr im Kommen. Auch die haben eine Daseinsberechtigung.


Sie sind aber auch in Relation sehr teuer.

Tittler: In Relation auf den Quadratmeter sind sie sehr teuer, ja das stimmt. Aber in Summe, als temporäre Lösung, können sie eine Option darstellen. Jeder muss sich sein Lebensmodell selber denken – wir können Möglichkeiten aufzeigen.


Zurück zum Bauflächenvorrat – sind die konkreten Zahlen bekannt?

Tittler: Ja, sind sie. Alle zwei bzw. drei Jahre werden diese erhoben. 2001 lag das Verhältnis von bebauten und ungenutzen Flächen bei 60:40. 2020 lag es bei 70:30. Man merkt: Der Trend geht in die richtige Richtung. Nicht schnell genug? 2019 haben wir mit dem Raumplanungsgesetz bewusst in diese Richtung Akzente gesetzt. Man hat die Befristung bei der Bebauung und die Erklärungspflicht eingeführt. Die Maßnahmen wirken jetzt noch nicht. Denn bei einer Frist von sieben Jahren, kann man nicht nach vier Jahren sagen, das hat nicht funktioniert.


Wenn sie sagen, es sind Maßnahmen für die Aktivierung/Nutzung von Bauchflächenvorräten angedacht, wie werden hier die Eigentümer miteinbezogen?

Tittler: Ich persönlich finde den Ansatz, der Erstellung der räumlichen Entwicklungspläne auf Gemeindeebene sehr gut. Für diese Pläne ist auch die entsprechende Kommunikation mit der Bevölkerung gefordert. Der Plan kann nicht im stillen Kämmerchen gemacht werden. Das ist ein partizipativer Prozess. Jede Gemeinde muss sich damit auseinandersetzen, wo soll Siedlungsentwicklung stattfinden, wo Freiräume bleiben, wie gestalten wir das Ortszentrum. Das ist eine Gratwanderung zwischen Forderung und Überforderung der Gemeinden – wir verlangen jetzt von 96 Gemeinden sich mit ihren Bürgern zusammensetzen zum Thema Raumplanung. Das Ergebnis muss zu Papier gebracht werden. Da haben eben die Bürger und Eigentümer sehr wohl die Möglichkeit sich einzubringen. Ich glaube, Raumplanung funktioniert dort gut, wo sie nah an den Bürgern passiert – in den Gemeinden. Eine sehr gute Möglichkeit auch EigentümerInnen in den Prozess miteinzubeziehen.


Kommentar zum Interview: Markus Berchtold

DIE HALTUNG BLEIBT VAGE


Raumplanung wird für Eigentümer immer bedeutsamer. Die aktive Bodenpolitik, der öffentlichen Hand, Leerstandsabgabe oder Zweitwohnsitzabgabe und Eingriffe in das Eigentum werden seitens des Landes diskutiert.


Erfreulich ist, dass seitens der Landesregierung der hohe Vorrat an Immobilien für Wohnen, sei dies in der Mindernutzung von Gebäuden oder an unbebauten Bauflächen oder Bauflächen mit Verdichtungspotenzial zur Kenntnis genommen wird. Endlich!? Der Bregenzerwald hat bereits vor 15 Jahren auf den großen Vorrat hingewiesen. Die Herausforderung ist komplex. Der Vorrat nimmt weiter zu. Noch immer fehlt der Plan mit den konkreten Bausteinen und Verantwortlichkeiten.

Die Förderung von Nachverdichtungen, das heißt mehr Menschen wohnen auf weniger Raum, wird angestrebt. Welche Auswirkungen hat die Nachverdichtung auf das Umfeld? Geht es zu Lasten bestehender Nachbarschaften? Wo ist der Ausgleich?


Micro-Apartments als temporäre Lösung. Wenig Raum für viel Geld. In asiatischen Ländern mit viel Erfahrung mit Micro-Apartments werden Mindeststandards diskutiert. Welche Mindestqualitäten muss eine Wohnung in Vorarlberg haben? Das temporäre Provisorium als Dauerlösung? Das neue „Living poor“?


Die neue Wohnbauförderung will das erstmalige Schaffen von Eigentum fördern und sieht junge Bürger als Zielgruppe. Gleichzeitig spricht der Landesrat vom Ansparen bei den Jungen. Geht sich das aus? Es scheint auf den Kauf der Wohnung durch Senioren hinauszulaufen.

Landesrat Marco Tittler mahnt die Beteiligung der Eigentümer durch die Gemeinden ein. Sehr gut! Doch in manch einer Gemeinde wird der fertige Plan per Beamer kurz vorgestellt und allenfalls weitere Sprechstunden angeboten. Das war dann die Beteiligung zur Erstellung des Räumlichen Entwicklungsplanes. In anderen Gemeinden wollen die Eigentümer nicht mitreden und reagieren erst, wenn der bereits beschlossene Plan zum Hindernis für die eigene Entwicklung wird. Das Abschieben der Verantwortung auf die Gemeinden kann das Spannungsfeld nicht auflösen. Widerstände entstehen, Wirksamkeit geht verloren.


Eingriffe erfordern eine klare Einbettung in eine Werthaltung. Was ist uns wichtig? Können und wollen wir einen Betrag zur Erreichung der Ziele leisten? Die Haltung der Landesregierung bleibt vage. Zu vage. Wie sollen wir als Eigentümer uns orientieren?

DI Mag. Markus Berchtold Ph.D.

VEV-Vorstandsmitglied, Inhaber von heimaten® – Ingenieurbüro für Raumplanung, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Raumplanung und Dorferneuerung.


Als nächstes lesen

Gärtnern im Alter
Gartenarbeit erfüllt viele Menschen mit Freude. So bleibt der Garten auch mit zunehmendem Alter ein Ort der Entspannung.
Lesen

© 2022 Vorarlberger Eigentümervereinigung