Aus Alt mach Neu

ungewöhnliche Ansätze für eine mögliche Zukunft des Bauens

Der Umwelt zuliebe sollte gar nichts Neues mehr gebaut werden. Denn der Bausektor ist Verursacher von rund 36 % der gesamten Treibhausgasemissionen. Doch so einfach funktioniert die Welt nicht. Wie bisher einfach weiterzumachen, wird auf Dauer jedoch nicht funktionieren. Neue Ansätze sind gefragt. Kreislaufwirtschaft ist seit Jahren ein Thema. Kann das in der Baubranche im großen Stil funktionieren? 

Text: Ursula Fehle

In einer Zeit, in der Umweltschutz und Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung gewinnen, rückt auch die Baubranche verstärkt in den Fokus der Bemühungen um ressourcenschonendes Wirtschaften. Die Kreislaufwirtschaft, ein Konzept, das darauf abzielt, Abfälle zu minimieren und Ressourcen bestmöglich wiederzuverwerten, spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle. In anderen Branchen sind Cradle-to-Cradle-Ansätze (von der Wiege in die Wiege) bereits etabliert. Die Baubranche zögert noch etwas, steht aber vor großen Herausforderung, veraltete Praktiken und lineare Produktionsprozesse zu überdenken. 


Ein Versuch ist es Wert

Studierende des Masterstudiengangs Architektur der Hochschule Augsburg unternahmen einen besonderen Versuch im Wintersemester 2021/22. In der begleitenden Publikation Architektur. Im Kreis wird erklärt, wie rund 40 Prozent des Müllvorkommens durch das Bauen entstehen. Dabei ist der Abriss von bestehenden Gebäuden ein erheblicher Faktor. Das in Augsburg von der Hochschule Augsburg in Kooperation mit dem staatlichen Bauamt durchgeführte Pilotprojekt sollte zeigen, dass sorgfältiger Umgang mit Bestand und Bestandsmaterialien für die Zukunft des Bauens wesentlich ist. Bauen mit alten Bauteilen wird hier in diesem Pilotprojekt als eine systemverändernde Option für die Zukunft aufgezeigt. 


Das Projekt 

Die Alte Stadtbücherei Augsburg wurde 2022 abgerissen. Die Studierenden registrierten und digitalisierten die Bauteile der abzureißenden Stadtbücherei im Herbst und Winter 2021. Doch dies war nur der Übung erster Teil: Aufgabe der Studierenden war es ebenso, aus den vorhandenen Bauteilen einen Ergänzungsbau für ihre Hochschule zu entwerfen. Eine andere Art des Planens. Es wird mit den vorhandenen Baustoffen entworfen und gestaltet. Es wird mit dem gearbeitet, was bereits da ist. Anders gesagt: Gebrauchte Bauteile – erfassen, verkaufen und weiter verwenden. Die Studierenden erfassten die Bauteile, der Freistaat Bayern verkaufte zum ersten Mal bestehende Bauteile eines Gebäudes. 


Herausforderung

In Augsburg wurde bei der Registrierung der Bauteile eng mit Concular zusammengearbeitet. Ein deutsches Unternehmen, das sich auf das Gebiet der Baumaterialien-Registrierung, Bereitstellung und Vermittlung (europaweit) von zirkulären Bauteilen spezialisiert hat. Bauen mit Bestandteilen bietet andere Herausforderungen als Bauen mit Neuware. Die Bauteile müssen zuerst dem Altbau bzw. dem Abrissgebäude entnommen werden. Das passiert rund sechs bis zwölf Monate vor Abriss, dann werden sie registriert und zum Verkauf angeboten. Bei Concular ist es üblich, wenn die Teile verkauft wurden, dass sie unmittelbar vor dem Abbruch rückgebaut, geprüft und übermittelt werden und so weiterverwendet werden können. Doch nicht jedes Bauteil wird sofort verkauft. Das heißt auch: Bauteile müssen gelagert werden können. Und: Es kann durchaus sein, dass nicht immer die gewünschten/benötigten Teile in der richtigen Menge vorhanden sind. Die Beschaffung ist eine Herausforderung. Es gibt zwar immer mehr Plattformen - in Österreich zum Beispiel BauKarussell, Materialnomaden oder Re:Store – dennoch tickt dieser Markt anders als der klassische Baustoffmarkt. Flexibilität ist hier eine Grundanforderung an Planer. Kritiker der zirkulären Bauweise sehen diese Punkte als große Hindernisse an. Befürworter sehen den Mehrwert dieser Art des Bauens (Ressourcenschonung, positive Auswirkungen auf Ökosysteme, Abfallreduktion, sinkende Umweltbelastung durch die Baubranche). Die oben genannten Probleme werden aus Sicht der Befürworter schwinden, sobald das Zirkuläre Bauen den Kinderschuhen entwachsen ist. 


Spannende Verkaufsgeschichten

Zurück nach Augsburg. 16 Studierende nahmen an diesem Pilotprojekt teil und erfassten wie bereits oben erwähnt die Bauteile. Alle Bauteile wurden laut Publikation vermessen, nach Gebrauchsspuren sortiert und eben katalogisiert. Alle brauchbaren Teile, am Ende waren es 370 Stück (Türen, Fenster, Glasbausteine, Waschbecken, Heizkörper, Treppengeländer, WCs, Natursteinplatten) wurden inventarisiert und zum Verkauf zur Verfügung gestellt. Das Projekt wurde von diversen Seiten belächelt, eine kaufwillige Abnehmerschaft wurde immer wieder bezweifelt. Der Verkaufsstart im Dezember 2021 bewies das Gegenteil. Die Käuferschaft war da und war breit gestreut – vom Architekturbüro über Familien bis zum Musikstudio. 


dfgdf

Bea Johnson, Zero Waste Home (Scribner, 2013)

Ein Ende der Verschwendung 

Béa Johnson zog 2006 mit ihrer Familie in ein kleines Apartment. Der Start für das Waste-Free-Living-Movement. Wem Johnson kein Begriff ist, die Franko-Amerikanerin hat den jährlichen Müllverbrauch ihrer vierköpfigen Familien auf ein Einweckglas reduziert. Sie ist Autorin von „Zero Waste Home - Glücklich leben ohne Müll”, Rednerin und Pionierin der 5R-Ansätze für die absolute Müllreduktion. Die 5R stehen für Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot. Das bedeutet: Ablehnen, was nicht gebraucht wird. Reduzieren, was tatsächlich benötigt wird. Wiederverwenden, wo immer das möglich ist. Recyceln, was nicht wiederverwendet werden kann und verrotten lassen, was nicht mehr gebraucht wird oder gebraucht werden kann. Was im Kleinen funktioniert, kann skaliert überall funktionieren. Die 5R sind mittlerweile nicht mehr nur für die persönliche Müllreduktion in Haushalten tauglich. Im Gegenteil, die 5R sind mittlerweile zur global auffindbaren Strategie des Wandels im Sinne der Nachhaltigkeit geworden. Das Vorarlberger Architekturinstitut (vai) tituliert nicht ohne Grund seine aktuelle Ausstellung „Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot - Strategien für die Material- und Bauwende”. Im Rahmen der Ausstellung werden diese verschiedene Ansätze aufgezeigt, ihre Herausforderungen dargestellt und ebenso die Wechselwirkungen demonstriert. 


Zeit fürs Umdenken

Ob die Kreislaufwirtschaft im Bau die Lösung für die Herausforderungen der Zeit sind, das wird sich weisen. Dass aber so wie gehabt nicht weiter gemacht werden kann, liegt auf der Hand. Eine größere Wertschätzung für Gebäude und deren Nutzung/Umnutzung würde der Branche auf jeden Fall gut tun. 



⇨ Weiterführende Informationen

Mehr über das Projekt des Masterstudiengangs Architektur der Hochschule Augsburg lesen.


Zur Publikation „Architektur. Im Kreis. Gebrauchte Bauteile – erfassen, verkaufen und weiterverwenden.“ 

Mehr über die Ausstellung „Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot“ im Vorarlberger Architektur Institut erfahren.

Nächster Artikel:

Klimawandel - Aufgabe für die VEV
50 Jahre nach dem großen Aufbau von Wohnraum in Vorarlberg, stehen wir erneut vor einer großen Herausforderung - die Sanierung.
Lesen

© 2023 Vorarlberger Eigentümervereinigung