POPULISTISCHE SYMBOLPOLITIK:
AUSSETZEN DER RICHTWERTERHÖHUNG

Am 1. April 2023 sollen die mietrechtlichen Richtwerte angehoben werden. Die Anhebung ist gesetzlich vorgegeben und würde 8,6 Prozent betragen. Die Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ fordern schon länger ein Aussetzen der Anhebung. Nun scheinen sich die Regierungsparteien im Nationalrat, ÖVP und Grüne, auch für diese Idee erwärmen zu können. 

Text: Ursula Fehle

Die Kosten steigen überall. Die Inflation lag im Jänner 2023 bei 11,1 Prozent. Österreich und Vorarlberg ächzen unter den zusätzlichen Belastungen. Der Vorstoß, etwa seitens der Grünen, die anstehende Richtwerterhöhung auszusetzen oder zu deckeln, mag in der Außenwirkung – die Politik unternimmt etwas gegen steigende Mietpreise – positiv sein. Bei genauer Betrachtung entpuppt sich das Vorhaben jedoch mehr als Symbolpolitik, denn als zielführende Maßnahme. In der öffentlichen Wahrnehmung kommt nur die halbe Wahrheit an. Das Deckeln oder Aussetzen der Erhöhung träfe nur eine Gruppe an Mietern, die bereits  einen verminderten Mietzins weit unter dem normalen Marktwert bezahlen und nicht den normalen Mieter. Von der Richtwerterhöhung sind nur jene Wohnungen betroffen, die unter den Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes (MRG) fallen. Darunter fallen vermietete Eigentumswohnungen in Häusern mit mehr als zwei Mietobjekten, die vor dem 8. Mai 1945 errichtet wurden und Wohnungen in geförderten Mietwohnungshäusern mit mehr als zwei Wohnungen. Viele Altbauwohnungen sind also davon betroffen. Ist das MRG jedoch nicht anwendbar, kann der Hauptmietzins frei festgelegt werden. Die Richtwerte sind nicht bundesweit gleich, sondern variieren von Bundesland zu Bundesland. Die aktuellen Richtwerte (noch bis Ende März 2023 gültig) lauten wie folgt: Burgenland 5,61 Euro pro Quadratmeter, Wien 6,15 Euro, Niederösterreich 6,31 Euro, Oberösterreich 6,66 Euro, in Kärnten 7,20 Euro, Tirol 7,50 Euro, Steiermark 8,49 Euro, Salzburg 8,50 Euro, und Vorarlberg 9,44 Euro pro Quadratmeter. 


Beispiel 60m2 Wohnung

Wer in Vorarlberg aktuell nach einer rund 60 m2 großen Mietwohnung sucht und die gängigen Plattformen dafür heranzieht, sieht sich im Rheintal im Schnitt Preisen von 950 bis 1.200 Euro gegenüber. Der Mietpreis für eine Mietwohnung, deren Mietzins sich am Richtwert orientieren muss, dürfte also – der Richtwert für Vorarlberg liegt bei 9,44 pro Quadratmeter – nur bei 566,4 Euro liegen. Der Richtwertmietzins liegt somit in bestimmten Fällen sogar über 50 Prozent unter den üblichen Mietpreisen am Vorarlberger Wohnungsmarkt. Die geplante Anhebung um 8,6 Prozent würde den Richtwert in Vorarlberg auf 10,25 Euro anheben. Die Richtwertmiete für eine 60m2 Wohnung läge dann immer noch nur bei 615 Euro und nach wie vor weit unter den Marktpreisen. 


Plumper Vorstoß

Nina Tomaselli, Nationalratsabgeordnete und Sprecherin der Grünen für Wohnen und Bauen, erklärte im Gespräch mit der APA, dass es ungerecht wäre, wenn die Mieten um rund zehn Prozent (durch die Richtwertanpassung) steigen würden, die Kosten für die Vermieter aber nicht in diesem Ausmaß gestiegen seien. Tomaselli vergisst dabei, dass auch Vermieter – so wie alle Österreicher – von der Inflation betroffen sind. RA Dr. Markus Hagen, Präsident der Vorarlberger Eigentümervereinigung, findet dafür klare Worte: „Das ist doch reiner Populismus. Hier wird nichts gegen hohe Mietpreise getan, sondern bereits regulierte Mietpreise niedrig gehalten. Die Kosten für Vermieter haben sich entgegen der Aussage von Frau Tomaselli  in allen Bereichen erhöht. Ein Aussetzen der Richtwerterhöhung kommt einer Entwertung gleich. Bestraft werden jene Vermieter, die bereits niedrige Mieten verlangen müssen.” 


Mieter vs. Vermieter

Während das Statement von Tomaselli die Wirkkraft zur Verbreiterung der Kluft zwischen Mieter und Vermieter hat, findet Landtagsabgeordneter und Wohnbausprecher Christoph Metzler (Grüne Vorarlberg) einende Worte. Viele Familien in Vorarlberg würden mehr als die Hälfte des Einkommens nur für das Wohnen ausgeben, eine Mieterhöhung um 8,6 Prozent könne deshalb im Zusammenhang mit steigenden Energiepreisen bei vielen zu großen Problemen führen: Mieten könnten unbezahlbar werden. Für Vermieter könnte dies mit Mietentfällen, Kündigungen oder Delogierungen ebenso negative Auswirkungen haben. Metzler betont den Schutz der Mieter wie  Vermieter gleichermaßen: „Wir verhandeln derzeit gerechtere Alternativen, die die Investitionen des Vermieters, wie von der Verfassung vorgesehen – wertgesichert schützen – und gleichzeitig Mieter nicht zum Zerreißen belastet.” Worauf sowohl Tomaselli als auch Metzler vergessen: Eine Nichtanhebung des Richtwertes würde, gerade in Vorarlberg, nur einen Bruchteil der Mieter betreffen. 

Die Erhöhung der Richtwertmieten um die Inflation wurde vor vielen Jahren zum Schutz der Investitionen der Vermieter – der Verfassung folgend – gesetzlich verankert.

Christoph Metzler, Landtagsabgeordneter und Wohnbausprecher, Die Grünen


Der kleine Vermieter 

Seitens der SPÖ wurde auf Bundesebene sogar ein Einfrieren der Richtwertmieten bis 2025 gefordert. Zu den weiteren Forderungen zählen eine Deckelung der Erhöhung auf 2 Prozent. Das würde bedeuten: Die Richtwertmieten könnten zunächst gar nicht angehoben werden – und dann mit 2025 nur um 2 Prozent. Für Großvermieter mag diese Maßnahme verschmerzbar sein. Für kleine Vermieter, Privatpersonen, die ein, zwei oder drei Wohnungen vermieten, kann eine solche Vorgabe zu großen finanziellen Problemen führen. Denn viele private Vermieter sind auf die kontinuierlichen Zahlungen angewiesen. Die VEV fordert daher schon seit langem eine Unterscheidung in große und kleine Vermieter. „Wird von Vermietern gesprochen, wird immer noch das Bild des Großvermieters skizziert. Der kleine Vermieter ist in der Wahrnehmung der politischen Entscheidungsträger nicht vorhanden. Ein Großvermieter, der hunderte Wohnungen betreut, kann nicht gleichgesetzt werden mit einer Privatperson, die ein oder zwei Wohnungen vermietet.” 


Preistreiber identifizieren

Erst kürzlich erklärte der österreichische Haus & Grundbesitzerbund via Pressemitteilung, dass nicht die Mieten die Preistertreiber der Nation wären. Denn: Die Statistik Austria macht deutlich, dass das Paket „Wohnen, Wasser, Energie” von Jänner bis Dezember 2021 um 20,9 Prozent  gestiegen ist. Die Mieten sind in jenem Zeitraum um 3 Prozent gestiegen. Die Kosten für Wasserversorgung und sonstige Dienstleistungen hingegen um 6.9 Prozent, jene für Instandhaltung und Reparaturen der Wohnung um 25, 9 Prozent und Kosten für Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe sind sogar um sage und schreibe 54,1 Prozent angewachsen. Würde man Mieter wie Vermieter entlasten wollen, müssten die Maßnahmen bei der Instandhaltung und den Energiepreisen ansetzen. 


Mehr wird es nicht

Die Inflation lag im Jänner 2023, wie zuvor erwähnt, bei 11,1 Prozent. Die Richtwerterhöhung mit 1. April deckt so nicht einmal die Entwertung durch die Inflation. So ist der Terminus Erhöhung eigentlich für die bereits regulierten Richtwertmieten falsch. Es handelt sich dabei um eine reine Wertanpassung von 8,6 Prozent. Wer das Bild des gierigen Vermieters gerne bemüht, wird erkennen, dass dieses gerade im Zusammenhang mit Richtwertmieten deplatziert ist. Die Anpassung ist eine wichtige Maßnahme, um die Werterhaltung, zumindest zu einem gewissen Teil, zu ermöglichen. 

Hagen bringt es auf den Punkt: „Real vermindert sich der Mietzins Jahr für Jahr für Vermieter von Wohnungen, deren Mietpreis dem Richtwert unterworfen ist. Warum werden hier keine Berechnungen angestellt? Man lädt immer nur weiter alles auf die kleinen Vermieter ab.” Wohnbausprecher Metzler meint zur aktuellen Situation: „In Zeiten hoher Teuerung gilt es besonders, die gesamte Gesellschaft im Auge zu haben. Vor allem beim sensiblen Thema wie Wohnen.” Dem kann nur zugestimmt werden. Mieter und Vermieter sind Teil der gesamten Gesellschaft, gangbare Lösungen für alle Beteiligten sollten gefunden werden. Das Aussetzen der Richtwertanhebung gehört nicht dazu. 

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