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Anfang Februar lud das vai (Vorarlberger Architektur Insitut) zum Studientag „Wohnanlagen – Wohnraum als Anlageprodukt“. Die Podiumsteilnehmerinnen Dipl-Ing. Dr. Anita Aigner von der Technischen Universität Wien, sowie Prof. Dr. Susanne Heeg von der Goethe Universität Frankfurt am Main, standen Haus & Grund für ein Gespräch zur Verfügung. Ihre – zum Teil eigentumskritischen Aussagen – bergen durchaus Zündstoff.

Text: Ursula Fehle 

Warum ist Wohnen so teuer geworden?

Aigner: In den letzten 20 Jahren haben sich die Baubewilligungen und auch die Fertigstellungszahlen verdoppelt – in ganz Österreich und auch sicher in Vorarlberg. Es ist in ganz Österreich, im Vergleich zur Bevölkerungsentwicklung,  mehr gebaut worden, als notwendig gewesen wäre. Es ist nicht nur für den Wohnbedarf, sondern auch für die Zunahme an Zweitwohnsitzen gebaut worden. Es wurde noch nie so viel gebaut. Zugleich ist keine Preisdämpfung eingetreten. Die Bau- und Bodenpreise sind gestiegen, weil speziell im freifinanzierten Sektor viel für Investoren gebaut wurde. Das hat paradoxerweise zu einer Unterversorgung mit leistbarem Wohnraum bei den unteren und auch mittleren Einkommensschichten geführt – bei gleichzeitigen Rekordzahlen. Das ist teilweise erklärbar mit dem Fokus auf Wohnraum als Anlageprodukt. 


Warum soll man Wohnraum oder Boden nicht auch als reine Geldanlage sehen dürfen? 

Heeg: Das Problem ist: Boden wird als Ware gesehen. Da muss verstärkt darüber nachgedacht werden, wie das anderweitig organisiert werden kann. Wie geht man als Gesellschaft mit Einzelpersonen oder auch Investoren um, die Boden horten und warten, bis sich der Bodenwert, vielleicht auch durch öffentliche Investitionen, erhöht, damit sie selbst profitieren können. Man muss bedenken: Dieser Bodenwert wurde im Grunde von einer Gemeinschaft hergestellt, durch öffentliche Investitionen, vielleicht auch durch öffentliche Einrichtungen, die dann in unmittelbarer Nähe aufgebaut wurden. Boden darf aber nicht als Ware gedacht werden, sondern als etwas, das der gesamten Gemeinschaft gehört und insofern auch nicht Marktpreis getrieben bewirtschaftet und Jedermanns eigener Immobilien- und Wertlogik unterworfen werden kann. Das ist ein langer, politischer Prozess, jedoch keine neue Erkenntnis. Schon Karl Polanyi (Anm. der Redaktion: österreichischer Wirtschaftshistoriker) hat vor rund 80 Jahren darauf hingewiesen, dass Boden ein zentraler Gegenstand ist, der für unser Leben entscheidend ist. Deshalb kann er nicht bedingungslos an private Interessen übergeben werden. Der sozial-gesellschaftliche Aspekt sollte im Vordergrund stehen. Die Frage muss sein: was kann für eine Gesellschaft auf Boden optimalerweise realisiert werden? Ich glaube, es braucht eine gemeinschaftlich organisierte Bauweise sowie Bau- und Stadtentwicklung.


Thema Zweitwohnsitze. Wie verorten sie diese in dem Spannungsfeld Bauen und Wohnen. 

Aigner: Da hake ich mit dem Thema Leerstand ein. Da muss man wissen, wie das in Österreich gemessen wird. Da werden die Wohneinheiten herangezogen, an denen kein Hauptwohnsitz gemeldet ist – also viele Zweitwohnsitze. 

Mit Leerstand verbindet man als erstes die Vorstellung, dass da da ein gerade unbewohntes Haus steht. Der Leerstand ist oft eher ein Phänomen, das schon auch sehr eng mit dieser Investment-getriebenen Bauproduktion zu tun hat. Gerade in den Alpen ist das Thema der Chalet-Dörfer ein Problem. Denn: die Infrastruktur vor Ort wird von der Kommune getragen. Für diese ungenutzten Wohnräume fallen hohe Kosten an, berappt werden sie von der Allgemeinheit.

Heeg: Ich betone an dieser Stelle, ich bin keine Politikerin. Aber man muss sich folgende zwei Fragen stellen: Kann es sich eine Gemeinschaft leisten, Zweitwohnsitzeigentümer (Ferienwohnungen) und somit leerstehenden Wohnraum mit Infrastruktur zu versorgen? Und müssen Immobilieneigentümer, die nur hin und wieder ihren Wohnraum nutzen, stärker an den Kosten beteiligt werden? Ich glaube, wir sind erst am Anfang der Diskussionen. 


Boden ist ein derart zentraler Gegenstand, der für  unser Leben entscheidend ist. Deshalb kann er nicht bedingungslos an private Interessen übergeben werden.


Prof. Dr. Susanne Heeg


Sie haben die Themen Verteilungsgerechtigkeit und Beschränkung von Eigentum aufgeworfen. Das sind Themen mit Zündstoff. Der Schutz des Eigentums ist nicht umsonst auf Verfassungsebene festgehalten. 

Aigner: Die steigende soziale Ungleichheit schreitet immer mehr voran. Das wird sich zuspitzen. Warum? Der Bodenverbrauch steht de facto, so wie er jetzt praktiziert wird, schwer in Konflikt mit unseren gesellschaftlichen Zielen, die unter anderem im Regierungsprogramm verankert sind. Dort wurde ein maximaler Bodenverbrauch von 2,5 Hektar/Tag als Zielgröße festgelegt. Das wurde schon 2002 in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes für das Zieljahr 2010 geplant. In der Praxis hat nichts stattgefunden. Die Versiegelungszahen sind nach wie vor steigend. Wir haben in der Praxis sozusagen eine widersprüchliche Gegenentwicklung zu den gesellschaftlichen Zielen. Die EU hat als Vorgabe einen Netto-Null-Verbrauch bis 2050 im Programm. Dafür bräuchte es jetzt gute Strategien. Alles weiterlaufen zu lassen, wie bisher, ist keine Option. Die Situation erinnert mich an den Zauberlehrling. Wir müssten diese „Bau-Besen“ in Analogie an den Zauberlehrling stoppen. Ziele, die bereits existieren, um die „Besen“ zu stoppen, sollten ernst genommen werden. 


Was also müsste aus Ihrer Sicht getan werden?

Heeg: Könnte man nicht durch ein besseres Baubestands-Management Fragen der Wohnungsnot besser adressieren? Ich sage nicht, dass nicht mehr gebaut werden sollte. Aber ich glaube, dass mit dem Leerstand auf der einen Seite, mit den Spekulationen auf der anderen Seite, auch zur Wohnungsproblematik beigetragen wird. Das heißt: Es gäbe jetzt schon Lösungen und Ansätze, die ideologiefrei bearbeitet werden müssten. 

Es wurden und werden von Seiten der Politik Maßnahmen gesetzt, um Eigentum leistbar zu machen. Aus Ihrer Sicht nicht die richtigen?

Aigner: In Österreich sind Bündel an Vorschlägen aus der Politik vorhanden. Diese müssen kritisch beäugt werden. Vorschläge wie die Streichung der Grunderwerbsteuer auf das erste Eigentum oder die Unterstützung von potenziellen Eigentümern durch einen Kredit des jeweiligen Landes, um sich für einen Kredit überhaupt zu qualifizieren, stehen aktuell im Raum. Wir sind also schon so weit, dass die Regierung Maßnahmen setzt, damit die Menschen überhaupt kreditwürdig sind. Das empfinde ich als absurd. 

 Heeg: Das ist in Deutschland genau dasselbe. Das Baukindergeld ist ähnlich. Den jungen Familien wird Geld gegeben, weil die Baupreise so hoch sind. Die Frage ist: Trägt dieser Beitrag nicht dazu bei, dass dann wiederum jene, die am anderen Ende sitzen von den jungen Familien mehr Geld nehmen können? Seitdem es diese Maßnahme Baukindergeld gibt, sind die Bodenpreise, Bau- und Anschaffungspreise überproportional gestiegen. 


Das heißt: Die vorhandenen politischen Ansätze greifen zu kurz?

Aigner: Ja. Es braucht einen Paradigmenwechsel im  Umgang mit Boden. Die aktuelle Ordnung und die genannten Vorschläge der Politik zielen nicht – vor dem Hintergrund der größeren gemeinsamen Ziele, der Nachhaltigkeitsziele – auf eine Lösung, sondern haben den nachteiligen Effekt, dass der Flächenverbrauch weiter steigt. 

Heeg: Ich kenne die Situation in Österreich zu wenig. Hier kann ich nur für Deutschland sprechen. Dort frage ich mich auch, ob diese Eigentumspolitik, die wir im Moment haben, überhaupt eine angemessene Antwort in Städten, für Städte und für den urbanen Raum ist. Denn dort wird tatsächlich eher in Mietwohnungen gewohnt. Dort wäre es auch sinnvoll, andere Formen des Bauens in anderen Eigentümerstrukturen zu realisieren. 


Dipl.-Ing. Dr. Anita Aigner

Studium der Architektur und Philosophie. Tätig für das Institut Kunst und Gestaltung an der Technischen Universität Wien. Forscht aktuell zur Finanzialisierung von Wohnraum. 



Prof. Dr. Susanne Heeg

Professorin für Geographische Stadtforschung am Institut für Humangeographie an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Ihr Forschungsinteresse liegt in der Untersuchung von Städten als Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und als lokale Knotenpunkte im Netzwerk globaler Dynamike


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